Welche Tangoschuhe würdest Du empfehlen?
Die Frage nach dem richtigen Schuhwerk zum Tangotanzen ist und bleibt sehr aktuell.
Es besteht zwar ein immenses Angebot verschiedener Hersteller von Schuhen, die sich alle als Spezialisten für Tangoschuhe präsentieren; trotzdem lohnt sich die Nachfrage, welche Grundeigenschaften man für einen passenden Tangoschuh berücksichtigen sollte.
Ich werde einen Umweg nehmen und aus den Ergebnissen meiner persönlichen Erfahrungen die Eigenschaften benennen, die einen Tangoschuh geeigneter machen.
Meine erste Empfehlung
Zu Beginn hatte ich keine brauchbaren Schuhe zum Tanzen. Ich verwendete entweder Turnschuhe oder normale Straßenschuhe mit Gummisohle. Irgendwann habe ich gemerkt das viele „Tanzschuhe“ hatten. Damals war mir das Konzept von Tanzschuh nicht klar.
Ich fing an zu fragen, woher ich ein Paar Tangoschuhe besorgen könnte. In Buenos Aires gab es damals nur eine kleine Auswahl von solchen spezialisierten Herstellern. Ich bekam eine Empfehlung, die mich mein ganzes Leben begleitete.
Ich hatte mit einem Herrn eine Bekanntschaft gemacht, der Milonguero war. Er hat viele Milongas besucht, viel getanzt und ging einem ganz normalen Job nach. Er war also kein professioneller Tänzer und wollte auch keiner werden. Er hatte trotzdem einen hohen Anspruch an seinen Tanz, sein Benehmen und Aussehen.
Als er hörte, dass ich Schuhe für den Tango suchte, gab er mir eine Empfehlung. Er empfahl mir ein Paar Straßenschuhe aus Leder, mit wenig Rahmen entlang der Fußsohle zu kaufen. Dafür nannte er drei Gründe:
Erstens kannst du damit auf der Straße gehen. Schuhe sind dafür gefertigt worden. Ich komme in die Milonga, brauche meine Schuhe nicht wechseln und muss meine Füße nicht anfassen. Zweitens lässt es sich damit lange bequem tanzen. Denn der Zweck von guten Straßenschuhen sollte sein, dass man damit lange Strecken zurücklegen kann. Und drittens sollte dein Schuh wenig Rand aufzeigen, um möglichst präzise und sensibel nah am Fuß der Dame tanzen zu können. So kaufte ich meine ersten Oxford Schuhe. Diese Schuhe trug ich jahrelang.
Omar Vega
Ich erinnere mich an ein großes Vorbild, der später ein guten Freund von mir wurde. Es muss im Jahr 1997 gewesen sein, als mich Omar Vega in der Milonga „Regin“ an seinen Tisch einlud. Ich erhielt sehr viele gute Ratschläge von ihm, doch einmal sagte er völlig unvermittelt zu mir: „Ein Schuh muss am Fuß wie ein Handschuh sitzen“. Es war einer von diesen Sätzen die alles Mögliche bedeuten können, aber doch am Ende sehr genau und wortwörtlich gemeint sind.
Die Erläuterung des Satzes ist fast noch wichtiger als der Satz selbst. Ich habe gut zehn Jahre gebraucht, um diesen Satz in seiner vollen Bedeutung zu begreifen. Behilflich waren mir die unzähligen Nebengespräche über Schuhe mit erfahrenen Tangotänzern wie „El Chino Perico“, „El Nene Fo“, „El Turco José“, um nur meine wichtigsten Vorbilder zu nennen.
Was der Satz meint, ist, dass der Schuh speziell am Mittelfußgelenk fest sitzen muss, damit der Fuß nicht nach vorne rutscht und die Zehen unter Druck setzt. Sie brauchen an der Spitze des Fußes immer Luft. Schnürschuhe sind dafür eine gut praktikable Variante, schließt aber Slipper oder Stiefel zum Tangotanzen definitiv nicht aus. Die Schuhform sollte hier nur genauer am Fuß angepasst sein als beim Schnürschuh.
Roberto und die Technologie
Am Anfang meines Tangounterrichtes war ich einmal im Studio „La Esquina“ von Vanina Bilous und Roberto Herrera für eine Gruppenunterrichtsstunde. Mir wurde angeboten einen Blick auf ein paar Schuhe zu werfen, die als Tangoschuhe konzipiert waren. Sie hatten eine Chromledersohle. Dabei wurden mir die fantastischen Eigenschaften von diesem Schuh erklärt, im Vergleich zu gewöhnlichen Lederschuhen. Insbesondere wurde über die Rutschfestigkeit des Chromleders gesprochen und wie sehr sich diese Schuhe an den Fuß anpassen können. Mann müsse sie regelmäßig bürsten, so dass sie diese Eigenschaften nicht verlieren. Ich hörte mir das damals natürlich mit sehr viel Begeisterung an und erinnere mich immer noch an meine ersten Chromlederschuhe. Sie waren einfach schön und vom Anfang an sehr bequem.
Heute denke ich darüber, dass die Wahl einer Chromledersohle für jeden Sozialtänzer eine ganz persönliche Entscheidung bleibt. Man kann mit solchen Schuhen nicht auf der Straße laufen, sie verlieren die Form viel schneller als ein Ledersohlenschuh, sie bieten viel weniger Unterstützung und sind eher geeignet für bestimmte Tänzer, die nicht einen Schuh mit langer Lebensdauer brauchen. Z.B. professionelle Tangotänzer.
Erneut dachte ich an den Satz:
„Ein Schuh sitzt wie ein Handschuh am Fuß…“
Auf den ersten Blick sieht man: in einem weichen Schuh fühlt man sich sofort wohl. Das ist der Fall bei vielen Tangoschuhen. Doch schon bald wird der Nachteil deutlich: Das zuerst bequeme Material arbeitet weiter und wird so weich, dass der Schuh bereits in Kürze den Fuß nicht mehr so halten kann wie er sollte.
Die andere Möglichkeit sind Schuhe mit festerem Material; eine Ledersohle als Basis und unbiegsameres Obermaterial, um ein etwas festeres Gefühl zu erzeugen. Diese Schuhe passen sich langsamer an den Fuß an, aber dafür stabilisieren sie sich, wenn die Form des Fußes gefunden wurde. Lederschuhe dehnen sich in der Regel seitlich gut aus. Wichtig ist jedoch, dass die Fußspitze immer etwas Luft hat, weil die Schuhe sich kaum oder nicht in der Länge dehnen. Neu gekaufte Schuhe tragt Ihr am besten mehrmals am Tag für kurze Momente, bis sie in ihrer Form nachgeben und sich am Fuß anpassen. In der Zwischenzeit tanzt Ihr mit den alten Schuhen. Irgendwann liegen die neuen bequem am Fuß an und werden dann wie ein Handschuh sitzen.
El Turco Josè
El Turco José liebte braune und schnurlose Schuhe… y El Taquito Militar! Als ich „El Turco José“ kennenlernte, eine der ersten Sachen die meine Aufmerksamkeit festhielten, waren seine Schuhe. Damals wusste ich noch nicht dass er mein Vorbild für alles, was ich mit dem Tango machen wollte, werden soll. Er trug schnurlose, hellbraune Straßenschuhe! Was war daran so besonders? Fraglos keine Schuhe mit Schnürsenkel. Das unterschied ihn von allen anderen. Dennoch war seine Art zu gehen, vertraut, elegant und von Raffinesse. Nachdem wir näher miteinander umgingen, empfahl er mir Schuhe mit höherem Absatz. Zur Auswahl standen „Taco Francés“ und „Taco Militar“, die ich beide ausprobierte. Persönlich fühle ich mich aber mit letzterem – also dem Militär Absatz – sicherer. Er kann bis zu einem halben Zentimeter höher als der „Taco Fracés“ sein, wobei die Basis schmaler und leichter ist. Ich entwickelte eine Leichtigkeit mit dem höheren Absatz; obwohl der Gewöhnungsprozess etwas dauerte, fühlte ich mich bald sehr wohl in solchen Schuhen.
Eine wichtige Aussage von Josè war auch, dass mann lernen muss, in den Schuhen, in welchen man tanzt, auch bequem auf der Straße zu laufen, nur so kann man seine Schuhe beherrschen.
Absätze sind für die Damen ein großes Thema! Besonders dann, wenn die Mode wechselt! Eine bestimmte Schuhform wird in der Regel nach der Höhe des Absatzes konzipiert. Leider entdecke ich auf dem „Tangomarkt“ immer wieder Damenschuhe mit unpassender Absatzhöhe, wodurch die gesamte Stabilität des Körpers und seine Gelenke leiden. Ganz sicher ist, dass ein Absatz belastbar und stabil sein muss. Doch nur wenige Tanzschuhe, die für andere Tanzarten wie beispielsweise Standard/ Latein entwickelt wurden, eignen sich für Tango, weil eben ihre Absätze nicht ausreichend belastbar sind.
Wenn wir von Absätzen sprechen, möchte ich kurz einen Blick auf die Damenschuhe wagen…
Las Milongueras del 40 y 50
Vor der Gründung des Comme il faut war es eher unüblich, dass Damen Sandalen zum Tanzen trugen. Ein Grund lag bestimmt darin, dass an den Orten, wo Tango mit einem Anspruch getanzt, die Nähe zu den Füßen gesucht wurde. Verständlich, dass bei aller Präzision, doch ein gewisser Schutz für die Zehen getroffen wurde.
„Tanzschuhe“ verwendeten Damen nicht, sondern ganz normale, starke Schuhe, die bequem sind, und sich zum Tangotanzen eigneten. Selten, an einem trockenen Tag im Sommer, konnte man gelegentlich Sandalen sehen. Die Damenschuhe waren geschlossen oder vielleicht mit einer kleinen Öffnung an der Spitze versehen, womit sie den Füßen großen Schutz boten. Selbstverständlich wollte jede Dame apart sein und nicht ausgerechnet das Modell tragen, das an vielen Füßen von Tänzerinnen – womöglich noch am selben Abend – zu sehen ist.
Nach intensivem Austausch mit Kolleginnen und Tänzerinnen habe ich festgestellt, dass die Grundeigenschaften für gute Tango-Damenschuhe dieselben wie für Herrenschuhe sind: Schutz und Stabilität, Höhe und Anpassung und selbstverständlich zeitlose Schönheit!
In Gedanken dazu sehe ich oft ein schönes Paar, das einmalig und das in der Milonga Szene von Buenos Aires nicht wegzudenken war:
El Nene Fo
Ich erinnere mich, dass wir mit El Nene und seiner Frau Carmen unterwegs zum Club Sin Rumbo waren. Mir entgingen seine wunderschönen Schuhe nicht, die sich von ihrer Fertigung von allen anderen marktüblichen Tangoschuhen unterschieden. Bourdeauxfarben! Wunderschön!
Gefallen sie dir? Fragte er mich. Ja! Sagte ich, aber woher hast Du sie? Vom Schuhmacher meiner Nachbarschaft, natürlich! Sagte er.
In dem Moment merkte ich, dass sowohl er als auch Carmen überhaupt nichts von so etwas wie Tangoschuhen wussten.
Beide aber trugen sehr schöne und bequeme Schuhe, mit welchen sie lange tanzten, kamen und gingen. Unbestritten sind Schuhe eine entscheidende Sache im Tango! Wir sollten damit arbeiten, nicht versuchen, dem zu entkommen. Braucht also Mann oder Frau offizielle „Tangoschuhe“, um lange und bequem Tango zu tanzen? Definitiv, nein!! Sogenannte Tangoschuhe, wenn sie von hoher Qualität sind, bieten sicherlich eine Reihe von Eigenschaften, die einen Schuh für den Tango brauchbar machen.
Ich hoffe euch durch meine Erinnerungen angeregt zu haben, euch über eure Schuhe und die Gesundheit eurer Füße Gedanken zu machen. Die eigenen Erfahrungen und Empfindungen können nicht durch den blinden Kauf von teuren Modellen der aktuell angesagten Marken ersetzt werden. Stabilität und Schutz, gepaart mit Geschmack und Individualität, machen aus einem Paar Schuhe einen Schatz von Dauer.